Betriebsräte im Ländervergleich
Werner Altmeyer
Interessenmanager vor neuen Herausforderungen
Eine empirische Studie über Belegschaftsvertretungen in Deutschland , Frankreich, Spanien und Großbritannien
Baden-Baden 2001, 387 Seiten, broschiert, ISBN 978-3-7890-6946-8, € 51,-
(Nomos Universitätsschriften, Wirtschaft, Band 55)
Ländervergleiche über die Rechte von Betriebsräten und Gewerkschaften gibt es viele. Werner Altmeyer beschreibt die
Arbeitsbeziehungen in diesem Buch jedoch nicht nur formalrechtlich, sondern trägt eine Reihe von praktischen
Fallbeispielen zusammen. Diese Betriebsfallstudien zeigen sehr anschaulich, wie Belegschaftsvertretungen in den vier
Untersuchungsländern ihre tägliche Arbeit leisten und wie sich ihr Verhältnis zur Belegschaft wie auch zum Management
gestaltet.
Ein Schwerpunkt bildet die Frage, wie Belegschaftsvertretungen auf Restrukturierungen und neue Managementstrategien (z.
B. total quality management) in der Praxis reagieren. Die Resultate aus allen vier Ländern werden schließlich in einem
Quervergleich ausgewertet. Dabei beleuchtet die Studie auch Mentalitätsunterschiede, die die Zusammenarbeit innerhalb von
Europäischen Betriebsräten erschweren. →
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Rezensionen
Rezension in der Zeitschrift "Mitbestimmung", Heft 6/2002, S. 72: Spitzenplatz für deutsche Betriebsräte
Dieses Buch steht an vorderster Front der Diskussion über Arbeitnehmervertretungen in multinationalen Unternehmen. Der
Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler Werner Altmeyer untersucht am Beispiel eines Lebensmittel- und eines
Elektronikkonzerns und ihrer ausländischen Tochtergesellschaften, wie die betrieblichen Interessenvertretungen auf die
Restrukturierung der Unternehmen reagieren. Dabei vergleicht er die Gewerkschaften in den einzelnen Ländern und stellt
jeweils ihre Stärken und Schwächen heraus. Das Ergebnis der Studie: Die deutschen Betriebsräte waren deutlich besser auf
die Herausforderungen vorbereitet als ihre ausländischen Kollegen. Aber auch in anderen Ländern hat er Ansätze gefunden,
die als Vorbilder für eine moderne Interessenvertretung taugen.
Mit welcher Art von Unternehmen haben wir es zu tun? Die neuen Multis beschreibt Altmeyer als "europaweit integrierte
Konzerne". Sie sind nicht länger nach Ländern, sondern grenzüberschreitend nach Sparten geordnet. Die
Managementstrategien unterliegen dabei einem tief greifenden Kulturwandel. Erweiterten dezentralen Spielräumen steht immer
noch eine zentralistische Entscheidungsstruktur entgegen. Die Interessenvertretung der Beschäftigten muss erstens, so
folgert der Autor, eine parallele Struktur aufweisen, also von unten nach oben, vom lokalen Werk bis zur europäischen
Spitze reichen. Sie muss zweitens der Managementoffensive Paroli bieten können.
Sehr detailliert und präzise überprüft Altmeyer im empirischen Teil der Arbeit, wie effektiv die Beschäftigten ihre
Interessen vertreten. Dabei verwendet er fünf Kriterien:
die Professionalität (wo er die Deutschen führend sieht);
die Durchsetzungs- und Kompromissfähigkeit (hier fallen die französischen Vertreter dank des extrem niedrigen
Organisationsgrads und der allseits gepflegten Feindseligkeiten weit hinter die anderen zurück);
innovative Arbeitsformen (die sind in England und in Deutschland hoch entwickelt, in romanischen Ländern mit ihrem
autoritären Führungsstil dagegen nicht);
den Grad standortübergreifender Vertretungsarbeit (wo er wiederum Deutschland wegen des guten Zugangs zu
Wirtschaftsdaten an der Spitze sieht, Spanien und Großbritannien mit ihren isolierten Interessenvertretungen dagegen am
unteren Ende der Skala);
die Fähigkeit, über den Europäischen Betriebsrat länderübergreifende Kontakte herzustellen (wo wieder deutsche und
französische Belegschaftsvertreter dank ihrer guten Ausstattung die Nase vorn haben).
Altmeyer stellt den Gewerkschaften vorzügliches Material für eine engagierte Europastrategie zur Verfügung. Statt sich
weiterhin mit national verfestigten Arbeitskulturen herauszureden, müssen die Gewerkschaften nun Ranglisten von Positiv-
und Negativbeispielen aufstellen. Sie müssen Benchmarking und Best-Practice-Analysen betreiben und versuchen, das Beste in
Europa durchzusetzen. Der Autor liefert viele Beispiele dafür, wie gegenseitiges Lernen möglich ist.
Man merkt dem Buch aber an, dass es als Dissertation entstanden ist und damit Anforderungen zu erfüllen hat, die nicht
gerade leserfreundlich sind. Eine Anregung an den Autor und die Hans-Böckler-Stiftung, die die Studie unterstützt hat, sei
gestattet: Wünschenswert wäre eine weitere Buchfassung, die von allzu großem wissenschaftlichen Ballast befreit ist und so
einen größeren Leserkreis anspricht.
Dr. Otto Jacobi
Ökonom und freier Wissenschaftler, Frankfurt am Main
Rezension in der Zeitschrift "Arbeitsrecht im Betrieb", Heft 12/2001, Beilage AiB-Telegramm, S. 112-113:
Spitzenplatz für deutsche Betriebsräte
Obwohl die Zahl der Europäischen Betriebsräte wächst und ihre Bedeutung zunimmt, ist das Wissen um betriebliche
Interessenvertretungen der Arbeitnehmer in Europa eher dürftig. Hier hilft die von Werner Altmeyer vorgelegte Studie, eine
Lücke zu schließen. Anhand von betrieblichen Fallstudien untersucht der Autor die Einflussmöglichkeiten der
Belegschaftsvertretung in vier europäischen Ländern. Dabei analysiert und vergleicht er nach einem einheitlichen Raster
Strukturen und Arbeitsweise der Betriebräte in Deutschland, Frankreich, Spanien und Großbritannien. Es werden Stärken und
Schwächen offengelegt, Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet. Hierdurch wird ein profundes Bild der Realität
von Belegschaftsvertretungen in Europa vermittelt.
Beginnend mit einer Charakterisierung des wirtschaftlichen Umfelds der Europäischen Union, stellt der Autor dieses in
Zusammenhang von Globalisierung und Triadenkonkurrenz. Einen besonderen Schwerpunkt dabei bilden Untemehmensstrategien,
Standortkonkurrenzen, vor allem aber neuere Managementstrategien und industrielle Beziehungen. Hier sind die
Interessenvertretungen der Belegschaften vor neue Herausforderungen gestellt. "Mit Einführung partizipativer
Managementkonzepte kann sich jedoch die Belegschaftsvertretung nicht mehr auf eine 'traditionelle Stellvertreterpolitik'
zurückziehen. Sie muss ihre Legitimität durch Kommunikation und Transparenz von Entscheidungen und durch eine stärkere
Einbeziehung der einzelnen Menschen am Arbeitsplatz unter Beweis stellen." Der Autor bezeichnet dies als
"beteiligungsorientiertes Interessenmanagement".
In den sich daran anschließenden Länderstudien wird zur Charakterisierung der unterschiedlichen Formen der
Interessenvertretung vor allem auf das von Kotthoff entwickelte Muster zurückgegriffen, wobei "Kooperation in
gespannter Distanz", "Co-Management in der korporatistischen Kooperation", "Kalkulierte
Konfrontation" und "Kampf-Partnerschaft" unterschieden werden.
Die Länderstudien selbst sind einheitlich strukturiert. Dabei wird überall der geschichtliche und wirtschaftliche
Hintergrund dargestellt, die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände werden vorgestellt, das Tarifvertragswesen erklärt und
die jeweiligen betrieblichen Interessenvertretungsstrukturen erläutert. Bereits diese nach einheitlichem Raster
vorgenommene Charakterisierung der vier untersuchten Länder vermittelt wertvolle Einblicke in die industriellen
Beziehungen in Europa. Noch mehr gilt dies für die betrieblichen Fallstudien, wobei pro Land mehrere Betriebe von je zwei
Konzernen näher untersucht werden. Dabei werden die Struktur und Arbeitsweise der Belegschaftsvertretung untersucht,
besonders auf Formen innovativer Arbeitspolitik ein- und der Frage nach Vertretung auf nationaler und europäischer Ebene
nachgegangen.
Für Deutschland stellt der Autor die erzwingbare Mitbestimmung in personellen und sozialen Fragen sowie die
Informationslage durch Wirtschaftsausschuss und Vertretung im Aufsichtsrat als besondere Stärke heraus. Wobei auf die oft
stark legalistische Konfliktaustragung hingewiesen wird. Kennzeichen deutscher industrieller Beziehungen ist die
kooperative Form der Zusammenarbeit und die Förderung kooperativer Unternehmenskultur. Positiv wird die angetroffene enge
Zusammenarbeit der Betriebsräte im Konzernverbund und die gute Betreuung durch hauptamtliche Gewerkschaftssekretäre
vermerkt.
Davon deutlich zu unterscheiden ist die betriebliche Interessenvertretung in Frankreich. "Die empirische
Studie zeigt deutlich die Einseitigkeit der betrieblichen Interessenvertretung in Frankreich, deren Stärke bei Information
und Konsultation und in der institutionellen Absicherung der einzelnen Gremien liegt." Während in Deutschland die
Kooperation vorherrscht, sind in Frankreich oft Arbeitsniederlegungen notwendig, um den Arbeitgeber überhaupt an den
Verhandlungstisch zu bringen. Die Voraussetzungen für eine kooperative Zusammenarbeit sind schlecht. Besonders
herausgestellt wird das große Budget für Sozialleistungen. Die Arbeit der Belegschaftsvertretungen selbst erscheint zum
Teil wenig professionell und die Gewerkschaftsvertreter sind in den untersuchten Betrieben oft weit weg von der
betrieblichen Realität. Überhaupt ist der Einfluss der Gewerkschaften auf das Betriebsgeschehen wegen des geringen
Organisationsgrads und der politischen Zersplitterung beschränkt.
Auch für Spanien wird eine relative Einseitigkeit der betrieblichen Interessenvertretung konstatiert. "Ihre
Stärke kann sie in der Tagespolitik des Betriebes entfalten, wo sie in der Regel basisdemokratisch gut abgesichert ist.
Ein Merkmal dieser basisdemokratischen Orientierung ist der historisch gewachsene Grundsatz, wichtige Fragen durch die
Belegschaftsversammlung und nicht vom Betriebskomitee oder den Gewerkschaften entscheiden zu lassen." Ebenso wie in
Frankreich wird die Professionalisierung der Belegschaftsvertretung als eher mangelhaft eingestuft. Im Betrieb selbst hat
die gesprächsorientierte Konfliktlösung Vorrang. Die politische Spaltung der Gewerkschaften stellt kein ernstes Problem
mehr dar, zumal die großen Gewerkschaftsbünde CC.OO. und UGT vielfach miteinander kooperieren. "Ein erheblicher
Mangel der spanischen Arbeitsbeziehungen ist die Tatsache, dass es keine gesetzliche Pflicht zur Bildung
zwischenbetrieblicher Komitees gibt und Konzernbetriebskomitees gänzlich unbekannt sind." Die Erfahrungen mit dem
Europäischen Betriebsrat haben dabei zu einem Bewusstseinswandel geführt und die Notwendigkeit standortübergreifender
Koordinierung deutlich gemacht.
Ähnlich wie in Spanien liegt auch in Großbritannien die Stärke der betrieblichen Interessenvertretung in der
"basisdemokratisch gestützten Tagesarbeit der Gewerkschaftsrepräsentanten im Betrieb, die trotz mangelhafter
Freistellungsmöglichkeiten als 'Polizisten auf dem shop floor' ihre Vertretungswirksamkeit recht gut entfalten
können." Wie in Spanien steht auch in Großbritannien die gesprächsorientierte Konfliktlösung im Vordergrund. Die
überkommenen Organisationsstrukturen der britischen Gewerkschaften, wonach in einem Betrieb mehrere Gewerkschaften
vertreten sein können, erwiesen sich in den untersuchten Fällen nicht als hinderlich. Vielmehr wurde die innerbetriebliche
Kooperation als vorbildlich bezeichnet. Dagegen ist "ein erheblicher Mangel des britischen Systems der
Arbeitsbeziehungen (...) die Tatsache, dass es keine Informationsmöglichkeiten über wirtschaftliche Fragen und
strategische Planungen des Managements gibt." Hier werden große Hoffnungen auf den Europäischen Betriebsrat gesetzt.
Bei der abschließend vorgenommenen Gesamtbetrachtung wurden im Hinblick auf die Arbeitsmöglichkeiten, die Freistellung in
Deutschland am besten, in Großbritannien am schlechtesten beurteilt. Was die gewerkschaftliche Betreuung angeht, so wurden
in Großbritannien deutliche Mängel festgestellt. Auch sind dort externe Sachverständige für den Betriebsrat unbekannt.
Interessanterweise sind in Frankreich Betriebsversammlungen nicht vorgesehen, während sie in Spanien und in Großbritannien
eine besonders wichtige Rolle spielen. Im Hinblick auf die Durchsetzungs- und Kompromissfähigkeit erweist sich in
Frankreich der sehr geringe Organisationsgrad als recht hinderlich. Hinzu kommt die mangelhafte Kooperation innerhalb der
betrieblichen Vertretung. Während in Frankreich eher eine Distanzkultur anzutreffen ist und der Konflikt betont wird, sind
in Deutschland, Großbritannien und Spanien häufig informelle Kontakte zum Management anzutreffen und es herrscht im Grunde
eine Kooperationskultur vor.
Was die in der Studie besonders herausgestellten innovativen Arbeitsformen und deren Mitgestaltung durch die
Belegschaftsvertretungen angeht, so hat Spanien ganz generell einen Rückstand bei partizipativen Managementformen.
Länderübergreifend stellt Altmeyer fest, dass die Einführung neuer Führungskonzepte sowie neuer Formen der
Arbeitsorganisation stark von der Kultur des Unternehmens abhängig ist, was denn auch Konsequenzen für die Art der
Einbeziehung der betrieblichen Interessenvertretung hat. Die Beteiligungsformen selbst wiederum sind abhängig von den
jeweiligen Arbeitsbeziehungen. Im Hinblick auf die neuen Herausforderungen und die neuen Arbeitsformen lautet das Fazit
des Vier-Länder-Vergleichs, "dass die Notwendigkeit, die Arbeit der Vertretungsorgane und deren Selbstverständnis
einer kritischen Analyse zu unterziehen, in keinem anderen Land so offensichtlich zu Tage tritt wie in Frankreich. Deutsche
Betriebsräte haben sich dagegen dem Wandel in starkem Maße gestellt, anfängliche Widerstände überwunden, innovative Kräfte
gefördert und ihre eigene Stellung innerhalb der Unternehmen gefestigt. Bei den britischen Gewerkschaftsrepräsentanten ist
der Wille ebenfalls vorhanden, sie werden aber von ihrer mangelhaften Professionalisierung etwas behindert, während Spanien
von neuen Formen der Arbeitsorganisation noch kaum erfasst worden ist."
Hinsichtlich der Einflussnahme auf die strategische Unternehmenspolitik ergibt sich, dass die wirtschaftlichen
Informationen in Frankreich und Deutschland recht gut sind, während sich in Spanien und Großbritannien Mängel zeigen, die
noch durch die dort fehlenden nationalen Vertretungsstrukturen (kein Konzernbetriebsrat z.B.) verstärkt werden.
Demgegenüber erfolgt in allen vier Ländern eine Einbindung auf europäischer Ebene, wobei die Rückwirkung auf die nationale
Politik unterschiedlich ist.
Im Hinblick auf die Stärken und Schwächen stellt Altmeyer zusammenfassend fest, dass "Großbritannien und Spanien (...)
gemeinsam (haben), dass die Belegschaftsvertretungen nur wenig professionelle Arbeitsstrukturen entwickelt haben.
Einerseits ist dies eine Folge der basisdemokratischen Grundhaltung, andererseits liegt es aber auch an den unzureichenden
Arbeitsmöglichkeiten der Komitees." Die Schwäche der französischen Belegschaftsvertretung sieht er in der stark
ausgeprägten Machtdistanz, aber auch in den Gewerkschaftsstrukturen selbst. "Frankreich ist das einzige Land der
Studie, in dem es grundsätzlich keine informellen Kontakte zwischen der Belegschaftsvertretung und dem Management
außerhalb der offiziellen Gremien gibt und in dem beide Seiten auch kein verbales Interesse an einer gesprächsorientierten
Konfliktlösung formulieren. Resultat sind konfliktreiche Arbeitsbeziehungen und ein für beide Seiten unkalkulierbares
Konfliktmanagement." Als Schwäche der deutschen Belegschaftsvertretung wird herausgestellt, dass die Möglichkeiten
der Belegschaft, direkt auf die Arbeit des Betriebsrats einzuwirken, nirgendwo anders so eingeschränkt sind wie in
Deutschland.
An Stärken stellt Altmeyer für Großbritannien und Spanien heraus, "dass alle im Betrieb vertretenen Gewerkschaften
reibungslos und offen miteinander kooperieren und ihre Betriebspolitik gemeinsam entwickeln. In beiden Ländern führt die
basisdemokratische Ausrichtung dazu, dass der Belegschaft das Letztentscheidungsrecht über die Annahme eines
Verhandlungsergebnisses zukommt." Für Frankreich wird die gute finanzielle Ausstattung hervorgehoben, ebenso die
Informationslage über wirtschaftliche Angelegenheiten. Das gilt auch für Deutschland. Allerdings werden die
Arbeitsmöglichkeiten für den deutschen Betriebsrat besser eingeschätzt. "Eine weitere Stärke des deutschen Systems
ist die institutionelle Dialogorientierung in allen mitbestimmungsrelevanten Bereichen." Insgesamt wird das deutsche
System als sehr positiv bewertet, was vor allem auch in der Gestaltung des betrieblichen Wandels zum Ausdruck kommt.
Dies - verbunden mit professionellen Arbeitsstrukturen - bringt das deutsche System für Europa in eine Vorreiterrolle, so
Altmeyer.
Die Studie von Werner Altmeyer vermittelt einen guten Einblick in die industriellen Beziehungen in Europa. Es werden nicht
nur die unterschiedlichen rechtlichen Regelungen dargestellt, sondern auch die Realität der betrieblichen Beziehungen.
Zugleich erfolgt eine Einordnung von Regelungen auch in praktischer Hinsicht in das wirtschaftliche und gesellschaftliche
Umfeld. Durch diese Einordnung wird Verständnis für die Unterschiede erzeugt. Beeindruckend sind nicht nur die profunden
Kenntnisse, sondern auch die ausgesprochen systematische Darstellung.
Prof. Dr. Heinz Bierbaum
Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Saarbrücken, Fachbereich Betriebswirtschaft
Leiter des Instituts für Organisationsentwicklung und Unternehmenspolitik
Rezension in der Zeitschrift "WSI Mitteilungen", Heft 10/2001, S. 653
Die Transnationalisierung der Unternehmen, die voranschreitende europäische Integration und insbesondere die Entwicklung
Europäischer Betriebsräte haben zu einem zunehmenden Bedarf an Wissen über die nationalen Arbeitsbeziehungen in Europa
geführt. Denn Europäische Betriebsräte erleichtern und erzwingen die Zusammenarbeit der Belegschaftsvertretungen in Europa
gleichermaßen. Für Arbeitnehmervertreter und Gewerkschaften bedeutet dies, dass sie sich weitaus konkreter mit den
Arbeitsbeziehungen in den anderen europäischen Ländern auseinandersetzen müssen. Dazu bedarf es der Kenntnisse der Praxis
der Interessenvertretung abhängig Beschäftigter in den jeweiligen Ländern, die aus den Rechtssystemen und formalen
Strukturen nicht unmittelbar erschlossen werden können. Dazu leistet die Studie von Werner Altmeyer für die Länder
Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Spanien einen wichtigen Beitrag.
Gegenstand der Studie sind die Arbeitsbeziehungen in zwei transnationalen Konzernen auf Betriebs- und
betriebsübergreifender Ebene in den vier ausgewählten Ländern. Altmeyer verarbeitet in seiner Studie eine - für ein
Ein-Mann-Unternehmen - erstaunlich umfangreiche und mit großem Erhebungsaufwand und entsprechenden Sprachkompetenzen
verbundene Empirie. Er führte - vor Ort und in der jeweiligen Muttersprache - Interviews mit Belegschafts- und
Managementvertretern in zwei Betrieben (pro Konzern und Land) sowie auf der je nationalen Konzernebene.
Im Zentrum der Studie stehen ausführliche Länderberichte, die nach einem einheitlichen Schema aufgebaut sind. Einem
allgemeinen Abriss der Grundlagen der jeweiligen Arbeitsbeziehungen folgen die detaillierten Fallstudien der einzelnen
Betriebe und der jeweiligen nationalen Konzernebene. Jeder Länderbericht schließt mit einer, die Fälle übergreifenden,
Auswertung. Im Schlussteil folgt eine Länder übergreifende Gesamtauswertung, die wiederum in eine Stärke-Schwäche-Analyse
der nationalen Arbeitsbeziehungen mündet. Abschließend werden einige Konsequenzen für die Arbeit Europäischer Betriebsräte
benannt.
Altmeyers zentrales Beurteilungskriterium für die Stärken und Schwächen der jeweiligen Systeme ist die Frage, inwieweit die
Arbeitnehmervertreter in der Lage sind, den betrieblichen Wandel zu gestalten. Dabei ergibt sich folgendes Bild:
Die untersuchten Arbeitnehmervertretungen in Großbritannien und Spanien leiden insbesondere unter kaum entwickelten
professionellen Arbeitsstrukturen. Ihnen fehlt es an grundlegenden Arbeitsmöglichkeiten wie eigenen Büroräumen, -personal
und -ausstattung, Finanzierungsmöglichkeiten für Reisen, Arbeitsmittel und Sachverständige, ausreichenden
Freistellungsmöglichkeiten und Informationen zur wirtschaftlichen Lage und strategischen Planung der Unternehmen. Die
Stärke der untersuchten spanischen und britischen Belegschaftsvertretungen liegt in der Tagespolitik des Betriebs, in dem
sie basisdemokratisch gut abgesichert sind und informelle Aushandlungsbeziehungen zum Management entwickelt haben. Der
Gewerkschaftspluralismus hat - mit Ausnahme der baskischen Gewerkschaft ELA/STV - keine negativen Auswirkungen auf die
Interessenvertretungsarbeit.
Schlechte Noten erhalten die französischen Belegschaftsvertretungen. Für Altmeyer weisen die Fallstudien auf drei
zentrale Schwachpunkte hin: (1) Die Gewerkschaften im Betrieb reiben sich in gegenseitiger Konkurrenz auf, arbeiten nicht
hinreichend professionell und sind nicht in der Lage, auf den betrieblichen Wandel mit angemessen Strategien zu reagieren.
(2) Es fehlt an informellen Kontakten zwischen Belegschaftsvertretung und Management sowie am gegenseitigen Interesse an
einer gesprächsorientierten Konfliktlösung. (3) Infolge der mangelhaften Kooperation zwischen den verschiedenen
Gewerkschaften ist die betriebsübergreifende Koordinierung im Konzernverbund unzureichend. Die französischen
Belegschaftsvertretungen stünden deshalb der Einführung neuer Managementmethoden insgesamt zumeist hilf- und konzeptionslos
gegenüber.
Die größte Schwäche der deutschen Arbeitsbeziehungen sieht Altmeyer in den geringen Möglichkeiten der Belegschaft, auf
die Arbeit ihrer Vertretungsorgane unmittelbar Einfluss zu nehmen. Insgesamt zieht er aber ein äußerst positives Fazit:
Deutsche Betriebsräte bemühen sich auf hohem professionellen Niveau um eine aktive Gestaltung neuer Formen der
Arbeitsorganisation, hinterfragen ihre eigenen Arbeitsformen und öffnen sich innovativen Formen von Vertretungsarbeit. Im
Vergleich mit den drei anderen Ländern werde deutlich, "dass deutschen Betriebsräten und Gewerkschaften aufgrund ihrer
stabilen und professionellen Arbeitsstrukturen eine weit größere Verantwortung zukommt, als sie dies vielleicht selbst
einschätzen." (S. 361)
Hier hätte ich mir ein paar weiterführende, klarstellende Bemerkungen gewünscht. Die Europäische Betriebsräte-Forschung
zeigt, dass deutsche Belegschaftsvertreter, vor allem bei deutschen Konzernen, schnell der Versuchung unterliegen, den
Europäischen Betriebsrat zu vereinnahmen und die übrigen EBR-Mitglieder zu überrollen. Verantwortung heißt, den
Europäischen Betriebsrat als gesamtes Gremium zu entwickeln, in das sich alle - trotz unterschiedlicher
Ausgangsvoraussetzungen - gleichermaßen einbringen und aus dem alle gleichermaßen Nutzen ziehen können. Dies kann in dem
einen oder anderen Fall durchaus bedeuten, dass sich die deutschen EBR-Mitglieder bewusst zurücknehmen und für die
Interessen, Ideen und Herangehensweisen der übrigen Mitglieder größere Offenheit zeigen sollten. Denn Altmeyer betont zu
Recht, dass es darum gehe, die europäische Ebene der Belegschaftsvertretung als "multikulturelles Laboratorium"
zu verstehen, in dem "landesspezifische Arbeitskulturen nicht als 'eiserner Käfig' gesehen werden, sondern (...) wie
ein Werkzeugkasten genutzt werden, um Synergien zu erschließen." (S.365)
Die hier vorgestellte Studie kann dazu beitragen, einige dieser Werkzeuge kennen-, verstehen- und anwenden zu lernen.
Stefan Rüb
Mitarbeiter in der Projektgruppe "Europäische Arbeitsbeziehungen" an der Fachhochschule Fulda