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Interview mit Aline Hoffmann, Leiterin des EBR-Teams der IG Metall

FotoFotoFrage: Welche Erfahrungen hat die IG Metall bei der EBR-Arbeit nach anderthalb Jahren EU-Erweiterung gesammelt?

Aline Hoffmann: Wir haben ein Jahr vor der EU-Erweiterung die Erweiterung der Europäischen Betriebsräte zum Thema gemacht. Die KollegInnen aus den Beitrittsländern hatten ja erst ab dem 1. Mai 2004 das Recht, bei allen Sitzungen und Themen mit einbezogen zu werden. Ãœber 150 der 260 EBR-Gremien im europäischen Metallsektor mußten im Zuge der EU-Erweiterung erweitert werden. Der Sonderstatus der "Gäste" oder "Beobachter" aus den EU-Beitrittsländern konnte durch eine vollwertige Mitgliedschaft ersetzt werden.

Frage: Gibt es eine Zwischenbilanz?

Aline Hoffmann: Eine genaue Bestandsaufnahme ist beim Europäischen Metallgewerkschaftsbund (EMB) in Brüssel derzeit in Arbeit. Die Zwischenbilanz läßt sich sehen: Sie ist ein wichtiger Beitrag zur sozialen Integration Europas. Darüber hinaus stellen wir fest, daß Initiativen zur EBR-Gründung zugenommen haben, v.a. aus Tochterunternehmen deutscher Firmen in Polen und der Tschechischen Republik.

Frage: Welchen Weg gehen Arbeitnehmervertreter im Metallsektor, wenn sie einen EBR gründen wollen?

Aline Hoffmann: Wie bereits seit Jahren werden die EBR-Gründungen über den EMB koordiniert. Wir gehen arbeitsteilig vor: so betreuen wir bei der IG Metall die EBR-Verhandlungen im Auftrag des EMB in deutschen Unternehmen. Unsere KollegInnen aus den MOE-Ländern sind im übrigen bereits seit Jahren eng in diesen Koordinationsprozeß eingebunden.

Frage: Welchen Zeitrahmen rechnet man für den Gründungsprozeß?

Aline Hoffmann: Der Verhandlungsprozeß kann zwar bis zu drei Jahre dauern, aber die regelmäßigen Treffen während dieser Phase sind wichtig, um zwischen den Arbeitnehmervertretern Vertrauen aufzubauen, den Umgang mit kulturellen Unterschieden einzuüben, und letztendlich eine gemeinsame Vorstellung vom Sinn und Zweck der späteren EBR-Arbeit zu entwickeln. Allerdings sind die EBR-Verhandlungen inzwischen zäher und sogar konfliktreicher geworden sind. Die "großen" Multis haben fast alle einen EBR. Jetzt müssen wir verstärkt an die kleineren Unternehmen ran.

Frage: Was ist denn die Besonderheit bei kleineren Unternehmen?

Aline Hoffmann: Dort herrscht bekanntlich eine andere Unternehmenskultur: vieles läuft informeller ab, da ist vielleicht der Eigentümer noch "Herr im Haus", es wird beispielsweise ganz anders über Veranstaltungskosten gefeilscht. Die Firmen, in denen jetzt ein EBR gegründet wird, beschäftigen in Deutschland vielleicht nur 800 Mitarbeiter - und diese sind dann auch noch über zwei oder drei Standorte verteilt. Je kleiner die Betriebe sind, desto weniger kann auch auf Erfahrungen zurückgegriffen werden: es gibt weniger freigestellte Betriebsräte, es fehlen häufig GBR- oder KBR-Strukturen.

Frage: Was bedeutet das?

Aline Hoffmann: Die KollegInnen in den Betrieben haben wenig Erfahrung mit der standortübergreifenden Zusammenarbeit im eigenen Land, da erscheint vielen der Schritt "nach Europa" noch viel größer. Die Verhandlungen sind schwieriger geworden, aber der Bedarf ist eindeutig da. Denn auch die Arbeitnehmervertretungen in kleineren Unternehmen werden mit Maßnahmen der Unternehmen konfrontiert, die darauf abzielen, das Unternehmen stärker europäisch aufzustellen.

Frage: Welche Themen beherrschen denn die Europäischen Betriebsräte?

Aline Hoffmann: Die Standortdebatte ist erneut entflammt - obwohl der Aufbau von Standorten in den Ländern Mittel- und Osteuropas und Verlagerungen seit Jahren stattfinden. Die Arbeitnehmervertretungen haben seit der EU-Erweiterung auch die rechtlichen Möglichkeiten, diese Fragen gemeinsam anzugehen. Wichtig ist, daß man miteinander redet und Wissen austauscht.

Frage: Gibt es Erfahrungen, wie die Europäischen Betriebsräte ihre Möglichkeiten dabei ausschöpfen?

Aline Hoffmann: Wir haben im März 2005 eine Umfrage bei den Europäischen Betriebsräten von deutschen Konzernen durchgeführt. Von den 70 EBR-Gremien, die in den letzten zwei Jahren von länderübergreifenden Umstrukturierungen betroffen waren, haben sich 62 auch grenzüberschreitend damit befaßt – sei es durch bilaterale Kontakte oder wie in 37 Fällen im Rahmen von EBR-Sitzungen. Besonders erfreulich dabei: in 30 dieser Fälle wurde die Chance genutzt, eine außerordentliche Sitzung einzuberufen. Das ist ein gutes Signal: Die Europäischen Betriebsräte nutzen ihre Rechte und das rechtzeitig. Sie kommunizieren miteinander und zwingen die Geschäftsleitung zur Einhaltung ihrer Informations- und Anhörungsverpflichtungen.

Frage: Was sind weitere künftige EBR-Themen?

Aline Hoffmann: Die Europäischen Betriebsräte befassen sich immer mehr mit Themen wie zum Beispiel Arbeits- und Gesundheitsschutz oder Aus- und Weiterbildung. Die Zentralisierung der Personaldatenverwaltung über Ländergrenzen hinweg ruft zunehmend EBR-Gremien auf den Plan, die sich Gedanken über die Erosion des Datenschutzes machen. Mittelfristig ist eine besonders spannende Frage, wie wir als Gewerkschaften mit der Aushandlung und Umsetzung von Rahmenvereinbarungen in Europäischen Betriebsräten umgehen können.

Frage: Ist dies ein Spannungsfeld?

Aline Hoffmann: Mehr und mehr Europäische Betriebsräte wollen gemeinsame, verbindliche Standards setzen, aber dies wirft im tarifrechtsfreien Raum der EU ganz neue Fragen auf: Wie können europäische Rahmenvereinbarungen des EBR mit der Beteiligung der Gewerkschaften und Arbeitnehmervertreter und ihren tariflichen Belangen auf der nationalen Ebene in Einklang gebracht werden?

Frage: Und welche neuen Anforderungen gibt es seit der EU-Erweiterung für die EBR-Arbeit?

Aline Hoffmann: Die Anforderungen und Routineaufgaben sind eigentlich grundsätzlich die gleichen geblieben. Schwache Gewerkschaftsstrukturen und Gewerkschaften, die nicht präsent sind, gibt es auch in alten EU-Mitgliedsstaaten. Durch die Erweiterung des Geltungsbereichs der EBR-Richtlinie können sich Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaftsvertretungen in den Beitrittsländern auf Regeln berufen, die vorher nicht galten. Nicht zuletzt sichert die Richtlinie eine demokratisch legitimierte Wahl der Arbeitnehmervertreter.

Frage: Bleiben wir bei der EBR-Richtlinie. Was müßte aus Ihrer Sicht darin revidiert werden?

Aline Hoffmann: Der umfangreiche Forderungskatalog des Europäischen Gewerkschaftsbundes, den wir ja grundsätzlich teilen, kann unter vier Punkten zusammengefaßt werden: Erstens müssen die Arbeitsmöglichkeiten des EBR verbessert werden, z.B. Qualifizierung der EBR-Mitglieder, oder das Recht auf eine interne nachbereitende Sitzung, die inzwischen in der Praxis Standard ist. Zweitens müssen einige Kernbestimmungen wie in der Richtlinie über die Mitbestimmung in der Europäischen Aktiengesellschaft (SE-Richtlinie) standardisiert werden: der Gesetzgeber hat bei der Ausarbeitung der SE-Richtlinie offenbar aus den Schwachstellen der EBR-Richtlinie gelernt, denn die Definition z.B. zur Rechtzeitigkeit von Information und Anhörung, ist in der SE-Richtlinie klarer und besser geregelt. Drittens muß der Geltungsbereich der EBR-Richtlinie erweitert werden, d. h. die Absenkung der Schwellenwerte und die Beseitigung der Ausnahmeregelungen. Und viertens gibt es eine Reihe juristischer Unklarheiten, Widersprüche und Lücken, die unbedingt beseitigt werden müssen. So fallen zum Beispiel 50:50 Joint Ventures schlicht zwischen das Raster der EBR-Richtlinie.

Aline Hoffmann arbeitet seit 2001 beim Vorstand der IG Metall, leitet dort seit Februar 2003 das EBR-Team und betreut den Europäischen Betriebsrat des Automobilzulieferers Bosch. Sie hat an der englischen Universität Warwick über den Umgang mit Standortkonflikten in Gesamtbetriebsräten und Europäischen Betriebsräten promoviert. Das EBR-Team der IG Metall gehört zum Funktionsbereich Betriebs- und Mitbestimmungspolitik, der auch die Gesamt- und Konzernbetriebsräte betreut.

Das Interview führte Kathleen Kollewe am 15. September 2005.


Weitere Informationen:

Die EBR-Webseite der IG Metall
Präsentation zur EBR-Arbeit der IG Metall



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