© 2004
Interview mit Günter Baltes, EBR-Vorsitzender bei Unilever

FotoFotoFrage: Unilever restrukturiert weiter. Was beinhaltete denn der vorhergehende Restrukturierungsplan?

Baltes: Mit dem alten Restrukturierungsplan aus dem Jahre 2000 “Path to Growth” sollten die Margen erhöht werden. Das ist gelungen. Auch die angestrebte Reduzierung der Markenvielfalt wurde weitgehend erreicht und ein weiteres Ziel war die Vereinfachung im Konzern. Dagegen wurde der Wachstumsplan nicht erfüllt.

Frage: Gab es denn damals schon Einschnitte bei den Beschäftigten?

Baltes: Natürlich gingen Arbeitsplätze verloren. Teile von Unilever wurden verkauft und einige Betriebe geschlossen. Unser Grundsatz war: Verkauf geht vor Schließung. Von früher 70.000 Mitarbeitern haben wir jetzt bei Unilever nur noch 50.000 europaweit.

Frage: Wie ging der Europäische Betriebsrat damit um?

Baltes: Damals haben wir auf der Basis unserer nationalen Erfahrungen ein Sozialprogramm eingebracht. Zumindest für die Beschäftigten in den verkauften Betrieben konnten wir eine Drei-Jahres-Garantie hinsichtlich ihrer Arbeitsbedingungen herausholen, die Eingang in das gesamte Vertragswerk fand.

Frage: Wie hat der Europäische Betriebsrat von den neuen Restrukturierungsplänen erfahren?

Baltes: Die Entwicklungen waren keine wirkliche Überraschung. Der Prozeß für das neue Restrukturierungsprogramm hat ja schon im Sommer 2004 begonnen. Der EBR war sozusagen im Prozeß mit drin. Allerdings waren die Ausmaße nicht absehbar und wahrscheinlich hat das Management selbst vor einem Jahr noch nicht gewußt, wie das Programm genau aussehen wird. Also wir waren nicht überrascht, aber wir sind nach wie vor anderer Meinung als das Management, wie mit Restrukturierungen umgegangen werden soll.

Frage: Wurde der Europäische Betriebsrat informiert und konsultiert?

Baltes: Information und Konsultation gab es schon. Im groben Umfang funktioniert die Arbeit im Unilever-EBR. Allerdings bekommen wir viel zu wenig konkrete Daten. Das Management gibt keine Antwort auf Fragen nach genauen Zahlen und fundierten Fakten bei potentiellen Einsparungen. Das ist mühsam. Die Rechnung, die das Management da gemacht hat, wird am Ende wieder nicht aufgehen. Die Entwürfe sind zu grob, nicht nachvollziehbar und zum Teil völlig unrealistisch.

Frage: Welche Reaktionen gab es auf Ihren offenen Brief an den Vorstandsvorsitzenden von Unilever, Herrn Cescau?

Baltes: Sehr viel Zustimmung von den Kolleginnen und Kollegen, sogar bis ins hohe Management hinein. Darauf will im Management jetzt natürlich keiner eingehen. Aber es ist eindeutig ein Signal, daß da was falsch läuft. Ansonsten hätte Unilever doch schon nach dem vergangenen Restrukturierungsprozeß Wachstum in Europa verzeichnen können. Dem ist aber nicht so.

Frage: Am 1. Dezember 2005 fand europaweit ein Informationstag statt. Was ist Ihr Resümee?

Baltes: Der Aktionstag hatte eine sehr gute Resonanz, bei den Mitarbeitern als auch in der Presse. Die Aktionen liefen unterschiedlich in den einzelnen Ländern. In Deutschland und den Niederlanden haben wir viele Mitarbeiter mobilisiert. In Italien, Frankreich und Spanien gab es Aktionen in den Fabriken und vor den Fabriktoren. Die Kollegen in Großbritannien haben uns mit einem Protestbrief unterstützt, weil dort schon der Aufruf zu Informationsveranstaltungen nicht möglich ist. Für uns war vor allem die Außenwirkung wichtig, ein Signal zu setzen.

Frage: Inwieweit arbeitet der EBR mit der Europäischen Gewerkschaftsföderation für den Landwirtschafts-, Nahrungsmittel- und Tourismussektor (EFFAT) zusammen?

Baltes: Die Koordination mit EFFAT war jetzt schon bei dem Aktionstag gut. Das hat man nicht zuletzt an den vielen Solidaritätsbekundungen gemerkt. Und der weitere Ausbau der Zusammenarbeit ist geplant.

Frage: Unilever als Konzern hat weitgehend europäisierte Strukturen, Entscheidungen werden nicht autark auf nationaler Ebene gefällt. Profitiert der Europäische Betriebsrat davon hinsichtlich seiner Arbeit?

Baltes: Ja und nein. Einen europäischen Sozialplan werden wir nicht ausarbeiten können, dafür sind die vielen nationalen Bestimmungen zu unterschiedlich. Aber wir wollen einen europäischen Rahmen schaffen, um bei Restrukturierungen zum Beispiel einen Zeitrahmen für die Abstimmung festzustecken und den Umgang mit den Beschäftigten zu regeln. Das wird in naher Zukunft unser Ziel sein.

Frage: Was sind die nächsten Ziele?

Baltes: Die Grundrichtung der Restrukturierungen bei Unilever werden wir nicht mehr verändern können. Unser Ziel ist es, die Restrukturierungen sozial anständig zu gestalten, die Verlagerungen abzufedern und bis Ende 2007 bzw. 2008 einen längeren Zeithorizont zu schaffen. Der Bereich Tiefkühlkost muß bei Unilever gehalten und damit die Beschäftigung dort gesichert werden. Damit werden wir das nächste halbe Jahr beschäftigt sein. Auf kurzfristige Veränderungen muß man dann mit weiteren Projekten antworten.

Günter Baltes (60), Vorsitzender des deutschen Konzernbetriebsrates und des Europäischen Betriebsrates, ist seit 35 Jahren bei Unilever beschäftigt. Der gelernte Steuerberater ist Mitglied der Gewerkschaft NGG, wurde Anfang der 80er Jahre freigestelltes Betriebsratsmitglied und hat den Europäischen Betriebsrat bei Unilever 1996 mit gegründet.

Das Interview führte Kathleen Kollewe am 5. Dezember 2005.


Weitere Informationen:

Bericht in den EBR-News 4/2005



Nach oben
This page in English
Cette page en francais
Startseite
Angebot
Team
Dokumente
Links
Kontakt