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Interview mit Manfred Lock, BVG-Vorsitzender bei Takeda Pharma
BVG = Besonderes Verhandlungsgremium

FotoFotoFrage: Wie kam es zur Initiative einer EBR-Gründung?

Lock: Wir bekamen im Februar 2008 durch Zufall eine Information über einen französischen Antrag zur EBR-Gründung, allerdings ironischerweise von einer Gewerkschaft, die aufgrund der Mehrheitsverhältnisse später nicht im Besonderen Verhandlungsgremium vertreten war. Obwohl es anfangs aus deutscher Perspektive nicht ganz so interessant klang, haben wir ein Inhouse-Seminar zum Thema EBR durchgeführt, um uns eine eigene Meinung zu bilden. Danach war für mich klar, daß wir als deutscher Betriebsrat dort mitmachen müssen.

Frage: Wie kam es zu diesem Sinneswandel?

Lock: Die Firmen sind immer mehr europäisch aufgestellt und strukturiert. Entscheidungen werden häufig nicht mehr im eigenen Land getroffen. Dort werden sie vom Management nur noch umgesetzt, es gibt keinen Handlungsspielraum mehr. Wenn ich aber als Arbeitnehmervertreter früher an Informationen kommen will, oder meine Alternativen darstellen will, so muß ich dort ansetzen und argumentieren, wo die Entscheidungen getroffen werden.

Kurz und gut, der deutsche Betriebsrat hat nach Beratung den Beschluß gefaßt, ebenfalls einen Antrag auf Gründung eines EBR zu stellen. Damit war die Voraussetzung geschaffen, daß unsere zentrale Konzernleitung in London nun die Wahlen der Mitglieder für das Besondere Verhandlungsgremium einleiten und binnen sechs Monaten die Verhandlungen aufzunehmen hat.

Frage: Wie sind die Verhandlungen gelaufen und warum haben sie so lange gedauert?

Lock: Die zentrale Leitung hat ihren Sitz in London und die Verhandlungen wurden von der englischen (= europäischen) Personaldirektorin geleitet. Zudem waren zu Beginn zwei japanische Manager und die nationalen Personalchefs zugegen. Wir saßen teilweise mit fünf Arbeitnehmervertretern acht Managern gegenüber. Daß die Verhandlungen so lange gedauert haben, hat sicher mehrere Gründe. Einerseits stoßen Mitbestimmung wie auch Informations- und Konsultationsverfahren in Großbritannien auf ziemliches Unverständnis beim Management. Andererseits muß das Management auch in London begreifen, daß man als Arbeitnehmervertreter Verhandlungen auf Augenhöhe führt. Das, was für einen deutschen oder französischen Personalchef selbstverständlich ist, ist für einen britischen Manager - noch dazu auf britischem Boden und Recht, noch lange nicht selbstverständlich. Der Prozeß, hier Klärung herbeizuführen, dauerte einige Zeit.

Die Verhandlungen selbst waren natürlich durch unterschiedliche Positionen zu den einzelnen Punkten gekennzeichnet. Erst im Frühjahr 2011 kam Beschleunigung in die Verhandlungen, da wohl auch das Management nicht wirklich an einem Scheitern interessiert war, denn dann hätten u. U. komplizierte Gerichtsverfahren die weitere Zusammenarbeit behindert.

Frage: Was sind aus Sicht der Arbeitnehmervertreter hilfreiche Schritte auf diesem Weg?

Lock: Als überaus wichtig und hilfreich hat sich herausgestellt, daß man zunächst die nationalen Arbeitnehmervertreter schulen sollte. Wir deutschen Betriebsräte sind mit unserem System der Mitbestimmung relativ einsam unterwegs in Europa und wir - aber auch die anderen Vertreter - müssen lernen und begreifen, warum wir so reden und argumentieren wie wir es tun. Erst dann versteht man, warum der französische Kollege so argumentiert oder der englische Kollege kein Verständnis für Forderungen der Deutschen oder Franzosen hat.

Frage: Was sind die wichtigsten Erfolge in der EBR-Vereinbarung?

Lock: Ein Erfolg ist sicherlich, daß wir die wichtigsten Änderungen aus der neuen EBR-Richtlinie einbauen konnten. Die Bedeutung von Unterrichtung und Anhörung sowie von länderübergreifenden Angelegenheiten und die Informationspflicht des Arbeitgebers wurden vereinbart; zudem die länderübergreifende Zuständigkeit des EBR; ebenso der Anspruch auf Schulung, Sachverständige und gewerkschaftliche Unterstützung. Es wird einen Lenkungsausschuß geben, der sich wenigstens viermal jährlich treffen und mit dem Management austauschen kann.

Natürlich mußten wir auch die eine oder andere "Kröte schlucken", so ist das Gremium auf zehn Mitglieder beschränkt und die Anpassungsklausel bei strukturellen Änderungen wurde herausgenommen. Aber wir können dies nach der ersten Amtszeit von vier Jahren korrigieren, da wir ein einseitiges Kündigungs- und Neuverhandlungsrecht aufgenommen haben.

Frage: Was würdest Du anderen Betriebsräten raten, die ebenfalls britischem Recht unterliegen?

Lock: Holt Euch auf jeden Fall fachlichen Beistand ins Boot, aber macht es! Geht den Schritt zur EBR-Gründung. Die meisten Unternehmen sind längst europäisch oder sogar global aufgestellt. Wir müssen diesen Schritt tun und unsere nationalen Arbeitnehmerrechte und Errungenschaften auf dieser Ebene einbringen. Wenn wir das nicht schaffen, dann kann sich jeder ausmalen, wie es irgendwann und bei immer noch steigender EU-Erweiterung darum bestellt sein wird. Und, investiert Zeit dafür, Euch als europäische Arbeitnehmervertreter kennen und begreifen zu lernen. Nichts ist einem ablehnend eingestellten Arbeitgeber zuträglicher als ein zerstrittenes oder uneiniges Gremium.


Manfred Lock ist Vorsitzender des Betriebsrates von Takeda Deutschland in Aachen, Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat und Mitglied der Gewerkschaft IG BCE. Er war Vorsitzender des BVG.

Das Interview führte Bernhard Stelzl am 19. Juli 2011.


Weitere Informationen:

Die EBR-Vereinbarung im Wortlaut
(in englischer Sprache)



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